«Dieses Projekt hat wieder Leben in mir geweckt»
Antoine Giroud aus Martigny-Combe musste seine Lehre wegen einer Depression abbrechen. Nachdem er sich erholt hatte, engagierte er sich in Genua im Rahmen des Europäischen Freiwilligeneinsatzes. Er ist der erste Walliser, der sich auf ein solches Projekt einlässt.
Dieser Artikel wurde von Christine Savioz verfasst und erschien in Le Nouvelliste vom 21. April 2023.
«Auf einmal hatte ich auf nichts mehr Lust. Ich fühlte mich eingeschlossen zwischen fensterlosen Mauern.» Mit diesen Worten beschreibt der 18-jährige Antoine Giroud aus Martigny-Combe, wie es sich anfühlte, als er 2021 in eine Depression abrutschte. Er sah sich gezwungen, seine Schreinerlehre abzubrechen, um sich in Behandlung zu begeben. «Es war schwierig. Ich konnte mich nicht einmal mehr für den Fussball motivieren, der von Kindesbeinen an meine Leidenschaft war.»
Im Lauf der darauffolgenden Monate ging es nach und nach wieder aufwärts. «Ich habe das Glück, dass ich viel Unterstützung habe, insbesondere von meinen Mitspielern im Team von Martigny-Combe, die mich nie im Stich gelassen haben.» Nachdem er aus der Dunkelheit herausgefunden hatte, wollte er neu durchstarten. «Ich wollte den Anschluss nicht verpassen.»
Die Frage war nur, wo und wie. Im Gespräch mit Sandra Schneider, der Verantwortlichen des Büros für Sprach-Austausch im Kanton Wallis, ergab sich eine Idee. «Sie erzählte mir vom Europäischen Freiwilligendienst, der es ermöglicht, einen gemeinnützigen Einsatz im Ausland zu leisten. Das hat mich sofort angesprochen.» Bis zu jenem Zeitpunkt hatte noch nie jemand aus dem Wallis an einem solchen Abenteuer teilgenommen.
Eine Fügung des Schicksals
Antoine Giroud hatte verschiedene Programme zur Auswahl, darunter ein Projekt in einem Zirkus in Frankreich und eines mit Kindern im italienischen Genua. Das französische Programm sollte schliesslich nicht zustande kommen. «Das war Schicksal, und ich bin dankbar dafür. Denn das Projekt in Italien ist genau das Richtige für mich. Es hat mir geholfen, meine Energie und meine Motivation wiederzufinden.»
Also zog der junge Walliser im letzten November für neun Monate nach Genua. Dort wohnt er in einem Haus für Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Europäischen Freiwilligendienstes. Seine Aufgabe ist es, Kinder und Jugendliche im Alter von 7 bis 18 Jahren nach der Schule zu betreuen. «Das ist ein bisschen wie die schulergänzende Betreuung in der Schweiz. Man holt die Schülerinnen und Schüler ab, hilft ihnen bei den Hausaufgaben und organisiert Aktivitäten.» Fünf weitere Freiwillige aus verschiedenen Ländern arbeiten mit ihm zusammen in der Betreuung der rund 50 Kinder und Jugendlichen.
Niemals ohne Fussball
Dem leidenschaftlichen Fussballer – und Mitglied des Viertligateams des FC La Combe in Martigny-Croix – fiel bald auf, dass einige Jugendliche grossen Spass daran hatten, mit dem Ball in den Strassen von Genua zu kicken. Da kam ihm die Idee, mit den Kindern und Jugendlichen aus der Region eine Fussballmannschaft zu gründen – ein Projekt, das die jungen Menschen in Genua sofort zum Träumen brachte. «Sie sind supermotiviert», fügt der Walliser hinzu und gesteht, dass die Kinder ihn als ein Fussballass betrachten. «Aber sie machen das selbst ziemlich gut. Sie spielen schon von klein auf Fussball auf geteertem Boden.»
In diesem von sozialer Unsicherheit geprägten Quartier gibt es sonst nicht viele Freizeitangebote. «Ich hätte nie gedacht, dass es hier so viel Armut gibt. Das war wie ein Schlag ins Gesicht, als ich ankam. Es wurde mir zum Beispiel bewusst, dass diese Kinder nie in die Ferien gehen können.»
Jeden Samstag gehen die Spieler zum Fussballtraining, um ihre Technik zu verbessern. Aufgrund ihres sehr unterschiedlichen Alters – mit Jahrgängen zwischen 2006 und 2012 – können sie sich nicht für Turniere anmelden. Antoine Giroud hofft deshalb, sie bald nach Martigny-Croix zu bringen, damit sie dort ein Match gegen die D1-Junioren des FC La Combe bestreiten können.
Die berufliche Zukunft wird klarer
Er hat sogar schon ein Datum im April dafür festgesetzt. «Es ist noch nicht sicher, da die meisten der Kinder keine ID-Karte besitzen, und das scheint hier bei den Behörden etwas kompliziert zu sein», erzählt der Walliser, der die Hoffnung trotzdem nicht aufgeben möchte. Um die Wartezeit zu verkürzen, schlägt er den kleinen Fussballfans immer wieder mal vor, Spiele von italienischen Mannschaften in Cafés in Genua auf Grossleinwand zu verfolgen. «Sie sind Fans von Sampdoria Genua oder Inter Mailand.»
Der Walliser bleibt noch bis August in Genua. Er hofft, danach in der Schweiz eine neue Lehre beginnen zu können, entweder als Fachmann Betreuung – «die Arbeit mit den Kindern in Genua gab dazu den Anstoss» – oder als kaufmännischer Angestellter. Bereits aus Italien hat er Spontanbewerbungen an Unternehmen im Wallis geschickt. «Ich hoffe auf positive Rückmeldungen. Momentan weiss ich noch nicht, was ich in sechs Monaten machen werde.»
Trotz dieser Unsicherheiten geniesst er die Erfahrung in Italien, die ihm Gelegenheit gegeben hat, sich weiterzuentwickeln. «Man hat an mich geglaubt, und das hat alles verändert. Ich habe wieder Energie gefunden, um vorwärtszugehen.» Und das Tüpfelchen auf dem i: Mit dem Erlernen der italienischen Sprache hat er nun gar einen neuen Trumpf im Ärmel. «La vita è bella.»