«Die Schüler:innen entwickeln ein vertieftes Interesse am Thema»

Stephan Bucher, kantonaler Austauschkoordinator in Neuchâtel, berichtet über seine Erfahrungen. Er hat ein thematisches Projekt zwischen den Gymnasien von Neuchâtel und einer Schule in Lexington, USA, initiiert.

Neu sind Austausch und Mobilität in der Verordnung der gymnasialen Maturität verankert. Schulen und Kantone müssen die nötigen Voraussetzungen schaffen, um Austauschaktivitäten zu ermöglichen.

Worum ging es bei dem Projekt?
Stephan Bucher: Es handelt sich um einen interkulturellen Austausch, bei dem 15 Schüler:innen aus den USA und 15 Schüler:innen aus Neuenburg zusammenarbeiten. In diesem Durchgang, der im Schuljahr 2023/2024 stattfand, beschäftigten sich die Jugendlichen mit dem Thema Menschenrechte und den unterschiedlichen Gegebenheiten in ihren jeweiligen Ländern. 
Die Zusammenarbeit begann gleich zu Beginn des Schuljahres, zunächst aus der Ferne. Im Herbst reisten die Schweizer Schüler:innen dann nach Lexington in der Nähe von Boston, wo die Arbeit in Form von Workshops und Besuchen fortgesetzt wurde. Im Februar dieses Jahres kamen die Amerikaner:innen nach Neuchâtel, um das Projekt abzuschliessen.

Das Projekt geht über einen klassischen Austausch hinaus. Welchen Mehrwert haben die Schüler:innen davon?
SB: Bei dieser Art von thematischem Austausch engagieren sich die Schülerinnen und Schüler langfristig. Sie müssen sich auf Distanz treffen, Termine vereinbaren, sich an einen Zeitplan halten und online arbeiten. Es geht auch darum, während des gesamten Projekts den Überblick zu behalten, es zeitlich zu organisieren und bei Bedarf den Hebel anzusetzen, um es abzuschliessen. Das sind wertvolle Fähigkeiten, die man im weiteren Verlauf des Studiums, auf dem Arbeitsmarkt und im Leben einsetzen kann. Jeder konnte in das Land des anderen reisen, andere Lebenswirklichkeiten kennenlernen, was für die Schüler:innen äusserst bereichernd ist. Solche Erfahrungen prägen einen für das ganze Leben.

Was ist mit den Lehrpersonen?
SB: Die Durchführung solcher Projekte, selbst wenn sie weniger ambitioniert sind, ist für Lehrpersonen komplex. Zunächst einmal ist es eine Herausforderung, was die Arbeitsbelastung angeht. Man muss auch loslassen können und sich manchmal ein wenig vom Kernlehrplan entfernen, was verunsichernd sein kann. Wenn es der Lehrperson jedoch gelingt, das Projekt in ihren Unterricht zu integrieren, zahlt sich die Investition aus. Die Schüler:innen werden sich stärker engagieren und ein vertieftes Interesse am Thema entwickeln als im herkömmlichen Unterricht. Für die Lehrerinnen und Lehrer ist das sehr befriedigend.

Das sind wertvolle Fähigkeiten, die man im weiteren Verlauf des Studiums, auf dem Arbeitsmarkt und im Leben einsetzen kann.

Wie kann der Austausch für die Lehrpersonen zugänglicher gemacht werden?
SB: Das Projekt zwischen Neuchâtel und Lexington ist nur ein Beispiel von vielen. Und angesichts seines Umfangs ist es nicht realistisch, es allen Schülerinnen und Schülern der Gymnasien anzubieten. Aber es gibt auch andere, bescheidenere Möglichkeiten, einen Austausch ins Auge zu fassen. In Neuchâtel zum Beispiel führen wir ein E-Tandem-Pilotprojekt mit dem Kanton Zürich durch. So nutzt man das vorteilhafte Terrain, das uns die Schweiz in Bezug auf die kulturelle und sprachliche Vielfalt bietet. Wir haben bereits einen thematischen Austausch zum Thema Wasser mit einem Gymnasium in der Nähe von Hamburg durchgeführt, bei dem die Chemielehrerinnen und -lehrer involviert sind. Die Vorstellung, dass Austausch nur etwas für Sprachlehrer:innen ist, ist nicht mehr aktuell.

Austausch und Mobilität sind in der Revision der gymnasialen Maturität verankert. Wie lässt sich diese neue Bestimmung in die Realität umsetzen?
SB: Die Sensibilisierungsarbeit in den Gymnasien, bei den Schulleitungen und den Lehrpersonen muss fortgesetzt werden. Man kann sie nicht zwingen, aber man kann sie informieren und die Botschaft vermitteln, dass es Strukturen wie Movetia gibt, an die man sich wenden kann, um beispielsweise finanzielle Unterstützung zu erhalten. Es braucht auch den politischen Willen, um den Austausch zu forcieren. In Neuenburg zum Beispiel konnte der Kanton mit der Einrichtung der Plattform move@ne eine Strategie im Bereich Mobilität entwickeln. Dieser politische Wille ist notwendig, um die Austausche weiterzuentwickeln.

Die Interdisziplinarität muss gemäss dem Lehrplan für die Gymnasien verstärkt werden. Ist das ein Argument um den Austausch zu fördern?
SB: Die Absicht ist da, aber in der Praxis werden nicht alle mit der gleichen Geschwindigkeit voranschreiten, insbesondere in den Kantonen, in denen die Umstellung des Gymnasiums von drei auf vier Jahre Priorität hat.
Dennoch bleibe ich optimistisch! Eines der Ziele der gymnasialen Maturität ist es, den Schuler:innen die  ompetenzen zu vermitteln, die sie benötigen, um sie für anspruchsvolle Aufgaben in der Gesellschaft zu wappnen. Die im Austausch entwickelten Fähigkeiten wie Selbstständigkeit, Selbstvertrauen und interkulturelle Kompetenzen dienen genau diesem Zweck: Sie sind wertvolle Trümpfe für das Leben in der Welt von morgen.