Schulklassen aus Luzern und Sarajevo im Austausch
Im letzten September besuchten Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule Alpenquai ihre gleichaltrigen Kolleginnen und Kollegen in Sarajevo und setzten sich mit der bewegten Geschichte Bosnien-Herzegowinas auseinander. Anfang März erfolgte der Gegenbesuch in Luzern.
Dieser Beitrag wird von Benno Bühlmann (Redaktion und Bild) und KATHY, dem Magazin der Pfarrei St. Katharina Horw, zur Verfügung gestellt.
Ein unvergessliches Austauschprojekt
Auch drei Jugendliche aus Horw – Leandro Martin (17), Amelie Schneider (16) und Sorino Stoppa (17) – hatten Ende September 2022 die einmalige Gelegenheit, die faszinierende Stadt Sarajevo im Rahmen eines interkulturellen Austauschprojektes zu entdecken und während einer Woche bei einer bosnischen Gastfamilie wohnen zu können. «Swiss-Bosnian Classroom» (SBC) war der Name des Projektes, das die Kantonsschule Alpenquai Luzern im Ergänzungsfach Religion und Ethik zusammen mit der Partnerschule Druga Gimnazija in Sarajevo durchführen konnte. Unterstützt wurde dieser Austausch von der Stiftung Movetia, der nationalen Agentur zur Forderung von Austausch und Mobilitat im Bildungssystem.
Die insgesamt 20 Teilnehmenden des SBC-Austauschprojektes wohnten bei Gastfamilien und hatten so die Möglichkeit, ein Stück Alltag und Kultur in der bosnischen Gesellschaft aus unmittelbarer Nähe erleben zu können. Ziel der Reise war es, die bosnische Gesellschaft besser verstehen und einen Blick hinter die touristischen Fassaden werfen zu können. Während der Studienwoche konnten Schüler:innen die vielfältigen Facetten (kulturell, religiös, historisch, politisch) von Sarajevo und der berühmten Brückenstadt Mostar entdecken. In Sarajevo und Umgebung konnten die Schüler:innen u.a. Spuren der 14. Olympischen Winterspiele von 1984 und die Narben des Bosnienkrieges (1992–1995) nach dem Zerfall Jugoslawiens sehen.
Kirchenglocken und Muezzin-Ruf
Ein Spaziergang in der Altstadt von Sarajevo vermochte den Jugendlichen einen spannenden Einblick zu vermitteln, wie das Zusammenleben verschiedener Religionen auf engstem Raum funktionieren kann. Davon zeugen heute immer noch zahlreiche repräsentative Gebäude im Zentrum der Stadt: Im Umkreis von gerade einmal 500 Metern sind mehrere Moscheen, eine katholische Kathedrale, eine orthodoxe Kirche und eine Synagoge zu entdecken. Es gibt kaum eine andere Stadt in Europa, wo das friedliche Zusammenleben von Christen, Muslimen und Juden über so viele Jahrhunderte hinweg eingeübt wurde. So ist es im Alltag ganz selbstverständlich, dass Kirchtürme in der Nähe von Minaretten stehen, und dass sich im Tagesablauf das Erklingen von Kirchenglocken und Muezzin-Ruf in regelmässigem Rhythmus abwechselt. Die alteingesessenen Bewohnerinnen und Bewohner von Sarajevo – eine Stadt, in der heute rund 300’000 Menschen wohnen – stören sich überhaupt nicht
daran.
Das bestätigen auch Izeta Šarić-Efendic (43) und Ahmed Šarić (43). Sie leben mit ihren vier Töchtern in Horw und sind in der Schweizer Gesellschaft bestens integriert. Mehrmals pro Jahr verbringen sie die Ferien in ihrem Herkunftsland und fühlen sich mit den Menschen in Sarajevo und Umgebung immer
noch eng verbunden.
Mit Sarajevo eng verbunden
Als Tochter eines bosnischen Saisonarbeiters kam Izeta Šarić-Efendic mit neun Jahren im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz. Ihr Vater war zunächst als Bauarbeiter, dann in der Gemüseabteilung eines Grossverteilers tätig und engagierte sich während vielen Jahren als Vereinspräsident beim Aufbau der bosnischen Moschee in Emmenbrücke. Nach der regulären Schulausbildung in der Schweiz absolvierte Izeta in Sarajevo ihre Gymnasialbildung in der muslimischen Medresa von Sarajevo, wo sie auch ihren späteren Ehemann Ahmed Šarić kennenlernte. «Dass in der Region von Sarajevo ein enges Zusammenleben der verschiedenen Religionen im Alltag eine Selbstverständlichkeit darstellt, ist eine Tatsache», meint Ahmed und weist darauf hin, dass er schon kurz nach seiner Geburt von den engen freundschaftlichen Beziehungen zwischen muslimischen und orthodoxen Menschen in seinem Dorf profitieren konnte: «Damals war meine Amme eine orthodoxe Serbin, die in der Nachbarschaft wohnte. Unsere Beziehung gestaltete sich noch über viele Jahre hinweg so herzlich, wie wenn ich ihr eigener Sohn gewesen wäre.»
Vor ein paar Jahren habe er an einer Beerdigung teilgenommen, an der sowohl Christen wie auch Muslime durch ihre Anwesenheit ihr tiefes Mitgefühl mit der Trauerfamilie zum Ausdruck gebracht hatten. Ahmed Šarić, der heute seinen Lebensunterhalt sowohl als Taxichauffeur wie auch als Imam in einer Moschee in Kussnacht verdient, erzählt weiter, dass er immer noch viele Freundschaften mit Menschen aus anderen Religionen pflege: «Ein guter Freund von mir ist orthodoxer Priester. Oft trinken wir zusammen Kaffee oder unternehmen gemeinsame Reisen.»
Notwendige Erinnerungskultur
Sowohl Amelie Schneider wie auch Leandro Martin und Sorino Stoppa berichten rückblickend mit grosser Begeisterung über ihre Erfahrungen, die sie während ihres Austauschprojektes in Sarajevo machen konnten. «Für mich war dieser Austausch eine sehr lehrreiche Erfahrung und es hat auch Spass gemacht. Ich war beeindruckt von der grossen Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Offenheit meiner Gastfamilie», erzählt Amelie. Und Leandro doppelt nach, dass er in Sarajevo «mit offenen Armen empfangen» worden sei. Dass heute vielerorts in der Stadt immer noch Spuren des Bosnienkrieges (1992–1995) sichtbar seien, habe ihn sehr betroffen gemacht: «Ich hatte nicht damit
gerechnet, dass heute bei vielen Häusern immer noch Einschusslöcher zu sehen waren.» Er habe auch erfahren, dass ein Grossvater seiner Gastfamilie in Srebrenica getötet wurde – und es sei ihm bewusst geworden, dass eine sorgfältig gepflegte Erinnerungskultur sehr wichtig sei, damit die Narben der Vergangenheit heilen könnten.
So war es denn auch kein Zufall, dass insbesondere der Besuch der Gedenkstatte in Srebrenica, wo das grösste Massaker in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg stattfand, bei den Teilnehmenden einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat. «Ich wusste vor unserer Reise nach Srebrenica nur wenig über den Bosnienkrieg», meint Sorino. «Der Besuch an diesem traurigen Ort hat mir die Augen geöffnet und gezeigt, welches die Hintergründe dieses schrecklichen Krieges sind.» Durch diese Erfahrung sei er nun sehr motiviert, die Hintergründe des Krieges und die Frage nach den Perspektiven für die Zukunft des Landes auch im Rahmen seiner Maturaarbeit noch weiter zu vertiefen.